16.4.2020 – „Wiesenfest! Wie reinste, edelste Musik klingt dieses Wort in den Ohren aller Selber, ob klein, ob groß, ob arm, ob reich, ob in der Heimat oder durch Meere getrennt, das Wiesenfest lässt aller Herzen höherschlagen und es kann als die Tage der Liebe, des Friedens, der Freude bezeichnet werden. Tage der Liebe vor allem deshalb, weil das Fest selbst aus der Liebe zur Heimat entstanden ist
und diese Liebe zur Heimat hat es zu dem werden lassen, was es heute ist: das Fest der Selber, etwas Einmaliges, etwas Einzigartiges. Zwar hat man auch anderswo, vor allem im Selber Umland Wiesenfeste gestartet, aber trotz aller Mühe die man sich macht, das Selber Wiesenfest ist konkurrenzlos. Es liegt wohl daran, dass dieses Fest aus der Bevölkerung selbst gekommen ist. Es wurde nicht gemacht oder veranstaltet, die Menschen haben sich zusammengetan, sind mit Kind und Kegel auf die Wiese gezogen und haben dort gemeinsam getanzt, gescherzt und gespielt. Und so ist es praktisch genommen auch heute noch, nur mit dem Unterschied, dass alles einen größeren Maßstab angenommen hat. (…) Es sind Tage, an denen die Menschen zusammenfinden, an denen sie über Konfessionen und Parteien hinweg nur Selber sind. (…) Das Wiesenfest will uns all die Sorgen vergessen lassen. Es will uns froh und heiter machen, es will unsere Herzen laben, unser Vertrauen stärken, uns von neuem mit der Heimat verbinden!“
Worte aus dem Jahr 1949 - dem ersten Wiesenfest nach dem Zweiten Weltkrieg. Worte, die passender kaum sein können. Das beschreiben, was wohl nahezu jeder Selber verspürt.
Es ist mehr als ein Fest, zu dem man die ein oder andere Runde in einem Fahrgeschäft dreht. Oder sich einfach nur bis zu vier Tage lang vielleicht dem ein oder anderen alkoholischen Getränk zu viel hingibt. Das mag auf viele andere Feste zutreffen. Nicht aber so in der Stadt Selb, die um das Wiesenfest oft beneidet wird. Es läuft nicht wie vielerorts so nebenher, es wird gelebt. Gerade deshalb schmerzt solch eine Absage einer seit sieben Jahrzehnten durchgehend so selbstverständlichen Veranstaltung – ungeachtet dessen, dass natürlich die Gesundheit Vorrang hat, keiner hierzulande Szenen haben möchte, wie wir sie aktuell tagtäglich in den Nachrichten zu sehen bekommen!
Emotionen spielen beim Selber Wiesenfest auf und rund um den sowieso schönsten Festplatz weit und breit eine ganz große Rolle. Bilder, wie die aufsteigenden Luftballons, die ein Strahlen ins Gesicht zaubern. Kinder, die voller Stolz im Festzug marschieren und im Anschluss ihre Spiele und Tänze vorführen. Musik vom Spielmanns- und Fanfarenzug und den Egertalern, die so vertraut in den Ohren klingen. Kindheitserinnerungen. Das Wiedersehen von Freunden und Bekannten. Wiesenfest ist Heimat. Heimatstolz, der verbindet.
Doch da steckt noch so wahnsinnig viel mehr dahinter, und daher ist es eben nicht nur so einfach ein Fest, das halt mal abgesagt wird, für den Festbesucher da noch am einfachsten wegzustecken sein mag. Die Absage des Selber Wiesenfestes ist in wirtschaftlicher Hinsicht für viele ein Schlag ins Gesicht: Festwirt, Musiker, Veranstaltungstechniker, Schausteller, Brauereien, Metzger, Bäcker, Fieranten, Hoteliers, Gastronomen, Blumengeschäfte und viele viele mehr im Hintergrund, die jetzt ohnehin schon allesamt zu leiden haben, und ja, auch selb-live.de trifft es mit seinem (auch von Anzeigenkunden) beliebten Sondermagazin - der Rattenschwanz zieht sich gewaltig und von etlichen komplett unterschätzt in die Länge. Manch einer kann sich da vielleicht gar nur wegen den Wiesenfesttagen noch mit seinem Geschäft über Wasser halten, Mitarbeiter bezahlen… Auswirkungen hat das auch aufs weitere gesellschaftliche Leben in der Stadt, fallen mangels Einnahmen dann auch Gelder für die Unterstützung von Vereinen und Co. weg.
Selber Wiesenfest: es ist so viel mehr! Das zweite Juli-Wochenende 2020 so völlig anders als in all den Jahren zuvor? Unvorstellbar, dass der nächste Heimatabend wohl erst heute in 450 Tagen stattfinden wird. Bewusst wird das einem wohl erst direkt am eigentlichen Festwochenende. Nicht wenige dürften da dennoch über den Goldberg schleichen, zumindest imaginär die Buden an ihren angestammten Plätzen wiederfinden, das Johlen aus den Fahrgeschäften ins Bewusstsein holen, ein „Sierra Madre“ vor sich hin summen und vielleicht gar trotz allem Schaufenster der Läden und den Garten vor dem Eigenheim festlich in den Selber Stadtfarben dekorieren, oder sich auch in Lederhose oder Dirndl schmeißen. Und so manches muss noch in der Zeit „vor dem Wiesenfest“ erledigt werden, anderes in der eigenartigen Zeitrechnung eben erst danach. Das Wiesenfest ist ein Mythos, der Goldberg an diesen Tagen so magisch – aber eben doch nicht selbstverständlich, das zeigt uns Corona plötzlich und brutal auf. Umso mehr werden wir alle das nächste Selber Wiesenfest wieder genießen und zusammen feiern.
Bis dahin aber zählt das Allerwichtigste: Bleibt alle gesund!
Michael Sporer, selb-live.de