22.10.2018 - Auf der Grundlage von ein wenig Freude aber großer Betroffenheit diskutierten die Teilnehmer am „Roten Stammtisch der Selber SPD die Ergebnisse der Landtags- und Bezirkstagswahl in Bayern und Oberfranken.
Erfreut zeigte sich der Vorsitzende des Selber SPD Ortsvereins, Stadtrat Roland Graf, über die Zahl und Zusammensetzung der interessierten Teilnehmer. Von Zwanzig und bis Mitte Achtzig war das Alter der Bürgerinnen und Bürger, die zum Diskutieren der Wahlergebnisse und Hintergründe gekommen waren. Zunächst informierte Graf mit Freude die Anwesenden, dass Holger Grießhammer in den Bezirkstag gewählt wurde. Er stellte fest, dass aus unserer Region nach einem Jahrzehnt wieder ein SPD-Vertreter in diesem Gremium vertreten ist, der um die Sorgen und Nöte unserer Bevölkerung weiß. Ein weiteres erfreuliches Ergebnis ist die Wahl von Klaus Adelt, der mit 26,6% das beste Ergebnis für die SPD in Bayern bei der Stimmabgabe erreicht hat.
Enttäuscht zeigte sich Roland Graf vom Ergebnis von Inge Aures, die sich über viele Jahre hinweg für die Belange der Selberinnen und Selber eingesetzt hatte. Mit nur 18,27% wurde ihr Einsatz bei den bis heute dauernden Kampf um ausreichende Polizei in Selb, um die unzureichende Polizeipräsenz in Oberfranken, nicht honoriert. Andere Parteien und Gruppierungen haben dazu so gut wie nichts getan. Hinzu kommt, dass ihre Unterstützung für die Bayerisch-Tschechischen Freundschaftswochen 2023 in unserer Heimatstadt in keinster Weise anerkannt wurde.
Der Selber Fraktionsvorsitzende Walter Wejmelka richtete den Fokus auf einen Blick in die Zukunft. Welche Auswirkungen habe der Wahlausgang auf die Selber Stadtpolitik? Er machte keinen Hehl daraus, dass ihm persönlich eine schwarz-grüne Koalition lieber gewesen wäre: „Ein frischer Wind hätte gut getan, auch im für die Bayerisch-Tschechischen Freundschaftswochen zuständigen Umweltministerium.” In Selb sei man jetzt die einzige Fraktion, die nicht als Stadthalter einer jeweils konservativen bayerischen Regierungspartei im Gremium sitze. Das sei noch mehr als bisher Verpflichtung, Missstände und Probleme im Umgang mit München offen auszusprechen und Nachbesserungen zu fordern. Während die beiden anderen Parteien im Selber Stadtrat künftig in der Zwickmühle säßen, kommunale Interessen mit Loyalität zu den eigenen Leuten in München vereinbaren zu müssen, bräuchten sich die Sozialdemokraten kein Blatt vor den Mund nehmen. Wejmelka: „Das ist eine Verpflichtung für uns, diese Rolle verantwortungsvoll wahrzunehmen!” Allerdings, so ergänzte der Fraktionschef, sei man in der jüngeren Vergangenheit ohnehin schon in solchen Situationen auf sich alleine gestellt gewesen.
Zweite Bürgermeisterin Dorothea Schmid, die den Wahlausgang im Rathaus verfolgte, warf ein, dass viele junge Leute nicht die SPD wählten. Von einem Stammtischteilnehmer wird kritisiert, dass das SPD Thema „Kostenlose Kitas“ zu wenig Schwerpunkt in der Öffentlichkeit war und von Grünen und Freien Wählern übernommen wurde. Häufig werden auch Themen der SPD nicht wahrgenommen und Äußerungen zu schwammig formuliert. Andere Teilnehmer führten aus, dass Themen von Konservativen übernommen wurden.
In die Diskussion geriet dann die Große Koalition, die nach dem Scheitern durch die Freien Demokraten zustande kam. Während der Auseinandersetzung der beiden Unionsparteien ging die SPD völlig unter. Hans-Joachim Goller führte unter anderem das Raushalten der SPD um die Flüchtlinge und Nahles Fehlgriff im Fall Maaßen für das Sinken in der Wählergunst an. Er vertritt die Meinung, dass die SPD linker werden muss. Bevorstehende Wahlen müssen gut vorbereitet und durchgeführt werden. Goller fügt noch an, dass von zwanzig der größten Städte Deutschlands vierzehn von SPD Politikern geführt werden.
Stadtrat Kai Hammerschmidt trifft die Feststellung, dass alles was gekommen ist, das Ergebnis von vielen Fehlgriffen von Nahles und Scholz sei. Beide reißen niemand mehr vom Sitz. Zu Beginn war Martin Schulz der Hoffnungsträger, er ist nach dem GroKo-Fehler kleinbürgerlich abgedriftet. Schulz wäre ein guter Außenminister gewesen, der radikal Europäisch gewesen wäre. Hammerschmidt regt eine Botschaft nach Berlin und München an, Nahles und Scholz sollen unter den momentanen Voraussetzungen die GroKo auflösen und gehen, Kohnen soll in Bayern bleiben. SPD Fraktionsführer Wejmelka empörte sich nochmals über die FDP, über ihr Handeln bei den Koalitionsverhandlungen im letzten Jahr, die von ihnen in den Sand gesetzt wurden. Zurück nach Bayern bemerkte er, dass im Fall der Straßenausbaubeitragsordnung die SPD falsch reagiert hat.
Volker Seitz fügt das Verhalten von Nahles zur Türkei (da müssen wir helfen) in die Liste der Fehlgriffe ein und unterstützt das Schreiben der Botschaft.
Offener Brief der SPD-Selb an Natascha Kohnen
Sehr geehrte Frau Kohnen,
liebe Natascha,
der SPD Ortsverein Selb veranstaltet regelmäßig einen „Roten Stammtisch“, bei dem
sich unsere Parteimitglieder treffen, um sich (bundes-, landes- und kommunal-) politisch
auszutauschen. Die jüngste Sitzung am Dienstag, den 16.10.2018 stand im Zeichen der
verlorenen Landtagswahl in unserem Bundesland Bayern.
Wir („die Basis“) haben das Wahlergebnis erörtert und diskutiert. Im Wesentlichen kamen
wir gemeinsam zu folgendem Ergebnis, welches wir hiermit kundtun wollen. Zwei
personelle Angelegenheiten wurden im Rahmen der Sitzung einstimmig erklärt:
- Bundesvorsitzende Andrea Nahles
Im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl wurde der Wahlkampf von Seiten der
SPD-Bundespolitik empfindlich gestört und außerordentlich negativ beeinflusst. Eine
personelle Veränderung wird ausdrücklich begrüßt und sogar gefordert. Wir erachten
einen Rücktritt der Bundesvorsitzenden Andrea Nahles für unumgänglich.
- Landesvorsitzende Natascha Kohnen
Der Landtagswahlkampf wurde von Frau Kohnen gut und fair geführt. Insbesondere
wegen der bundespolitischen „Störfeuer" war die Ausgangsbasis äußerst negativ und
deshalb nicht mehr wiederherstellbar. Der SPD OV Selb steht uneingeschränkt zur
Landesvorsitzenden Natascha Kohnen und bestärkt diese in ihrem Amt. Eine
personelle Veränderung wird ausdrücklich nicht gewünscht.
Gerne möchten wir die einzelnen Argumente, die zu den oben genannten Erklärungen
geführt haben, kurz zusammenfassen. An dieser Stelle möchten wir ausdrücklich darauf
hinweisen, dass dies nur die Kernpunkte der Argumentation sind.
zu 1.
- Andrea Nahles‘ Entscheidung im Fall „Maaßen“ war schlichtweg eine Katastrophe.
Der Bürger konnte damit nicht umgehen und die SPD Bundesvorsitzende
hat dabei keine klare Haltung eingenommen. Ihre Haltung war hierbei konträr zu
derer von Natascha Kohnen. Die Korrektur und Entschuldigung kam zu spät.
- Andrea Nahles steht sicher für das Gründungsversprechen der Sozialdemokratie,
die Lücke zwischen „denen da oben“ und „uns hier unten“ zu schließen. Leider
kann Sie dieses Ziel/Versprechen nicht klar und konsequent dem/der Wähler/in
vermitteln.
- Andrea Nahles steht für den Mindestlohn, Rente mit 63, Begrenzung der Leih-/
Zeitarbeit und viele andere wichtige sozialpolitische Themen. Leider kann Sie
diese Inhalte oder auch deren Umsetzung nicht klar und eindeutig dem/der Wähler/
in verkaufen.
zu 2.
- Natascha Kohnen führte einen sehr engagierten und sachlichen Landtagswahlkampf.
Wir finden sie glaubwürdig, intelligent und verlässlich und möchten mit
ihr das verlorene Vertrauen der Wähler/innen zurückgewinnen.
- Natascha Kohnen darf „nicht fallen gelassen“ werden, so wie es mit dem
vielversprechenden Martin Schulz auf bundespolitischer Ebene stattgefunden hat.
Das gemeinsame und solidarische Prinzip ist ein grundsätzliches Profil der Partei,
das der/die Wähler/in an uns eigentlich sehr schätzt.
- Natascha Kohnen musste gegen alle (d.h. gegen das bayerische Phänomen
„Freie Wähler“, gegen die neue Propagandapartei „AfD“, gegen eine starke und
klar positionierte „Grüne“ und die mit Bayern verschmolzene „CSU“) kämpfen und
darüber hinaus noch innerparteiliche Hürden überwinden. Natascha Kohnen
hatte dadurch keine Chance, ihre sozialdemokratischen Kernziele (bezahlbarer
Wohnraum durch staatliche Bauprogramme, Familienentlastung durch kostenlose
Kitas, zukünftige Arbeitssicherung durch Ausbildungsgarantie und
Mindestvergütung, eine Schulstandortgarantie auf dem Land, sichtbare
Polizeipräsenz auch auf dem Land, schnelle Integration von Einwanderern auch
um die Arbeitsplatznöte der heimischen Wirtschaft zu lindern, usw.) zu platzieren
und zu vertreten.
Unser Ortsverein fordert eine Beibehaltung der landespolitischen Führung, aber eine
personelle, bundespolitische Neuausrichtung. Dies geht nur mit einem Rücktritt der
SPD-Bundesvorsitzenden Andrea Nahles (ohne auszuschließen, dass andere
Vorstandsmitglieder ebenfalls zurücktreten) und darüber hinaus, mit einem Ausstieg
aus der großen Koalition.
Mit diesem Fazit und Ausblick möchten wir im Namen der Genossen unseres SPD-Ortvereins solidarisch grüßen
Roland Graf und Volker Seitz
Vorsitzender und stv. Vorsitzender SPD OV Selb