Die Selberin Sydney Hollering überzeugt in ihrer ersten Saison im Eiskanal
11.2.2025 - Die deutschen Bob-Piloten sorgen stets für Furore. Bei den aktuellen EM-Läufen in Lillehammer standen die Männer und Frauen einmal mehr auf dem Siegertreppchen. Um den Nachwuchs muss nicht bange sein. Die 23jährige Selberin Sydney Hollering wechselte aus der Leichtathletik in den Bobsport. In ihrer ersten Saison sammelte sie als Anschieberin schon reichlich Erfahrung im Europa-Cup, wurde gar ins Team der ehemaligen Olympiasiegerin Lisa Buckwitz nominiert. Einsätze im Weltcup sind ihr Ziel. Der Traum von Olympia lebt.
Sportlich war sie schon immer. Sydney Hollering hatte sich jahrelang der Leichtathletik verschrieben. Begonnen hatte sie damit im zarten Alter von sechs Jahren bei der TS Selb. Vom Sprint bis hin zum Stabhochsprung meisterte sie verschiedene Disziplinen. Angetan hatten es ihr vor allem aber Hochsprung und insbesondere Speerwerfen. Häufig landete sie bei diversen Meisterschaften in ihrer Altersklasse auf dem Treppchen. Bei der LG Fichtelgebirge galt sie als aufstrebende Sportlerin, eine große Karriere schien im Bereich des Möglichen. Noch im Sommer 2020 brachte sie bei einem Wettkampf in Bamberg den Speer auf 48,87 Meter. Bis heute ihre persönliche Bestleistung. Die Leistungskurve stagnierte aber, Steigerungen blieben aus. Das auch bedingt durch eine Innenbandverletzung am Ellenbogen. Ebenso erklärt Sydney Hollering, dass bei ihrem zwischenzeitlichen neuen Verein in Halle an der Saale das Trainingskonzept ihr nicht wohlgesonnen war.
Von Halle ging es schließlich nach Jena. Hier studiert sie derzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Sportwissenschaften. Ein anschließendes Studium im Bereich Sportmanagement könnte noch folgen. Das Studium selbst konnte sie hier perfekt mit dem Leichtathletiktraining verbinden. Dennoch blieben trotz bester athletischer Voraussetzungen die erhofften Leistungssteigerungen aus. „Ja, es fiel mir schon schwer, zu erkennen, dass nicht mehr drin ist, obwohl man sehr viel ins Training investiert hat“, tat sich für sie dann plötzlich eine ganz andere Tür auf, dem Leistungssport treu zu bleiben.
Die Selberin wohnt in Jena mit einer früheren Bob-Pilotin in einer WG zusammen. Folglich ließ sie sich im Sommer 2023 überreden, sich doch einmal beim Anschubtraining in Oberhof zu probieren. Vor Ort war Sydney Hollering umgehend von diesem Sport angetan, „dabei hatte ich mit Wintersport bis dahin nichts am Hut“, gibt sie zu. Mit großem Spaß ging sie nun an die Sache heran. Das erste Mal mit hoher Geschwindigkeit in einem Bob durch den Kanal tat ihr übriges. „Das war Adrenalin pur!“ Trainer Matthias Höpfner erkannte großes Potential. Häufig geht es für Leichtathleten in den Eiskanal, bringen sie doch die notwendige Athletik und gehörig Kraft mit, die es beim Anschieben benötigt.
Der Speer, den Hollering letztmals bei einem Hochschulwettkampf im Mai 2024 auf 45,67 Meter wuchtete, hängt zwischenzeitlich am berühmten Nagel. Die Konzentration gilt nun ganz dem Bobsport. Bis zu sechs Einheiten Training stehen pro Woche auf dem Programm. Neben dem Kraft- und Sprinttraining sind die Technik und der Anschub von Bedeutung. Hier wird vor allem an speziellen Zuggeräten trainiert, bis zu 180 Kilogramm wiegt schließlich ein Zweier-Bob, der im Eiskanal angeschoben werden muss.
Die 23-Jährige überzeugte im Oktober 2024 beim zentralen Leistungstest, beim Ranking aller deutschen Anschieber landete sie weit vorne. Zwei Selektionsrennen in Winterberg und Altenberg folgten. Sydney Hollering überzeugte auch hier. Seither gehört sie zum „Team Leo“ um die Pilotin Leona Klein, die einst aus dem Turnsport zum Bobsport fand und aktuell in ihrer zweiten Wettkampfsaison steht. Hier ist sie eine von vier Anschieberinnen. Auch wenn sich untereinander gut verstanden wird, so ist dennoch Konkurrenzkampf angesagt, nur die schnellste Anschieberin kommt bei den Wettkämpfen zum Zug. Die Selberin ist schnell. Und so folgte im Dezember 2024 die erste Teilnahme im Europacup in Innsbruck. „Uns gelang ein achter Platz von insgesamt 24 Teilnehmerinnen“, blickt sie auf ihr erstes internationales Rennen voller Stolz zurück. Zugleich erklärt sie, dass der Name Europacup eigentlich nicht richtig ist, nimmt hier doch auch eine weltweite Konkurrenz teil, allerdings finden alle Rennen eben nur in Europa statt.
Leona Klein und Sydney Hollering scheinen perfekt zu harmonieren. „Das ist beim Bobsport auch sehr wichtig. Beim Start müssen wir uns genau treffen und gemeinsam den ersten Impuls setzen“, erklärt sie und macht klar, dass man hier noch lange nicht perfekt sei. Sie sind motiviert, weiter daran zu arbeiten, um sich zu verbessern. Weiter sieht die sympathische Selberin bei der Technik noch Luft nach oben. Sie selbst zeigt sich jedoch schon sehr zufrieden dabei, dass sie gut in den Bob reinfindet und während der flotten Fahrt gut im Schlitten sitzt. Das ist wichtig, denn der Bob selbst ist alles andere als bequem. Dieser ist nicht gepolstert und die Fahrerinnen sind enormen Fliehkräften ausgesetzt. Blaue Flecken bleiben da nicht aus.
Am vergangenen Wochenende machte das Duo eine unbequeme Erfahrung. Beim Europa-Cup-Rennen in Altenberg crashte ihr Bob im Kreisel. „Für mich war es mein erster Sturz. Im ersten Moment war es ein Moment der Stille, dann der Aufprall aufs Eis“, beschreibt sie die ungewohnte Situation, sich im Schlitten weiter zu halten, während dieser weiter den Eiskanal hinunterrutscht, bis er endlich liegen bleibt. „Uns ist nichts passiert. Ich habe „nur“ ein paar kleine Prellungen davongetragen“, hatten sie Glück im Unglück auf der im Bobsport sehr anspruchsvollen und häufig von Stürzen geprägten Bahn. Nach dem ersten Schock überwog aber auch die Enttäuschung, Klein und Hollering hatten hier im ersten Durchlauf schließlich die beste Startzeit aller Teilnehmerinnen. Das Aus im Rennen war gleichbedeutend damit, dass sie bei anstehenden Junioren-Weltmeisterschaft nicht teilnehmen können. „Da sind schon ein paar Tränchen geflossen“, gibt Sydney Hollering zu, die nun aber schon auf die noch anstehenden Junioreneuropameisterschaften in Winterberg blickt.
Ziel ist natürlich in Zukunft die Teilnahme am Weltcup. Bedingt durch ihre starken Leistungen konnte die junge Selberin hier gar schon in dieser Saison reinschnuppern. Von Nationaltrainer René Spies wurde sie als Ersatzanschieberin bei den Rennen in Innsbruck und St. Moritz für das Team von Lisa Buckwitz – Olympiasiegerin 2018 und aktuell Dritte im Gesamtweltcup – nachnominiert, da eine Anschieberin krankheitsbedingt ausfiel. „Der Anruf des Trainers hat mich sehr gefreut. Binnen zwei Stunden habe ich in Jena meine Sachen zusammengepackt und bin direkt nach Innsbruck gereist“, habe sie das mit großem Stolz erfüllt. Viele Erfahrungen habe sie in dieser Zeit sammeln können und sich zugleich wertvolle Tipps von den Großen der Szene holen können.
Mit den drei deutschen Top-Teams um Laura Nolte, Kim Kalicki und Lisa Buckwitz ist die Konkurrenz im Frauen-Bobsport groß und folglich nicht leicht für die Nachwuchssportlerinnen, ins Weltcup-Feld aufrücken zu können. Dennoch: Eiskanal statt Sportplatz - Sydney Hollering hat mit ihrem neuen Sport eine neue, große Leidenschaft finden können. Der Traum vom Leistungssport erfüllt sich. Ehrgeizig wie sie ist, wird sie nach dieser Saison auch in den Sommermonaten hart an sich arbeiten, um im Bobsport die nächsten Schritte machen zu können. Einsätze im Weltcup wären das. Und Olympia? „Für 2026 ist die Zeit wohl zu kurz, aber 2030 könnte ein Ziel sein!“
selb-live.de – Michael Sporer, Fotos: privat (fotografieohneknie / raw.pictures_)