15.7.2020 – Nein, eine klare Aussage zur Zukunft des Haus Selb des Klinikums Fichtelgebirge hatte er nicht parat. Ein Konzept, vor allem was die Rückverlegung der chirurgischen und der inneren Abteilung sowie die Aufrechterhaltung der Notfallversorgung anbelangt, konnte er nicht präsentieren. Klinikum-Geschäftsführer Martin Schmid hatte folglich in einer eigens einberufenen Sonder-Sitzung des Selber Stadtrats keinen leichten Stand. Viel Gegenwind bekam er seitens des Gremiums und aus der Bürgerschaft zu spüren.
Immer wieder werde in der Bevölkerung über die Zukunft des Krankenhausstandort Selb diskutiert. Und nicht zuletzt sei man in Selb gebrannte Kinder, wenn es um den stückweisen Abbau von verschiedenen Abteilungen wie der Küche, dem Labor, der Entbindungsstation und dergleichen geht. Nicht nur daran erinnerte Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch. Wie lautet der nächste Schritt, wenn man weiß, dass man am Standort Selb mit dem nördlichen Landkreis im Rahmen der Versorgungsstufe II ganz klare Aufgaben habe. Und diese Stufe möchte man in Zukunft auch behalten. Das mit den damit automatisch verbundenen Angeboten wie die Chirurgie, die Innere Medizin und natürlich die Aufrechterhaltung der Notfallversorgung. Dazu gebe es auch klare Aussagen, unter anderem aus der Wirtschaft. Den Industriestandort möchte man gesichert wissen mit einer entsprechenden medizinischen Ausstattung. Dies sei ein wichtiger Standortfaktor für die Unternehmen vor Ort. Und auch die Bürger wollen bei Verletzungen etc. den direkten Weg ins Haus Selb haben. „Spätestens nach Covid19 soll dies wieder möglich sein“, machte das Stadtoberhaupt in seinen einleitenden Worten deutlich. Um Aussagen gegenüber der Bevölkerung treffen zu können, war dies nun Grund genug gewesen, den Geschäftsführer der Klinikum Fichtelgebirge gGmbH, Martin Schmid, zu einer Sonder-Stadtratssitzung einzuladen. Dieser müsse schließlich Grundlagen für spätere Entscheidungen durch den Aufsichtstrat und durch die Politik liefern.
Der Klinik-Chef ging in seinem Vortrag auf die zu bewältigenden Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate ein. Im Februar habe man eine TaskForce-Gruppe zur Covid19-Pandemie ins Leben gerufen. Nach schon kurzer Zeit wurde hier entschieden, das Haus Selb zum reinen Covid19-Haus umzufunktionieren. Demnach folgte eine Verlegung der chirurgischen Fächer (Orthopädie und die Wirbelsäulenchirurgie) ins Haus Marktredwitz des Klinikum Fichtelgebirge. Auch habe sich Corona beim Personal bemerkbar gemacht. Teils mussten 80 von gesamt 360 Pflegekräften zeitgleich in Quarantäne geschickt werden. Auch die Verwaltung war teilweise von solchen Maßnahmen betroffenen. Einigen Herausforderungen habe man sich stellen müssen. Schmid ging ebenso auf die Zahlen ein. Zeitweise sei man Corona-Hotspot-Region gewesen. Über 660 positiv auf Covid19 getestete Personen habe es bislang im Landkreis Wunsiedel gegeben, 40 Todesfälle mussten verzeichnet werden. Im Monat Juli gab es bislang lediglich vier Verdachtsfälle. Doch gewarnt wird davor, dass die Zahlen demnächst wieder ansteigen könnten.
Lediglich die Diabetologie ist seit Mitte Juni wieder in Selb zu Hause. Schmid verwies sonst auf die derzeit bis Ende September 2020 verlängerte „Allgemeinverfügung zur Bewältigung erheblicher Patientenzahlen in Krankenhäusern“. Folglich werde man an den aktuellen Strukturen festhalten.
„Wie geht es nun aber in der Zukunft weiter? Welche Pläne und Vorstellungen gibt es aktuell seitens der Geschäftsleitung des Klinikums hinsichtlich den Strukturen? Vor allem, wird das Haus Selb wieder so an den Start gehen, wies es vor Covid19 der Fall war“, stellte Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch als Frage, die vor allem die Bevölkerung auf den Nägeln brennen würde. „Das ist Glaskugellesen“, antwortete Martin Schmid. „Wir wissen nicht, was uns noch weiter auferlegt wird“, verwies er auf einen noch fehlenden Impfstoff, weshalb man wohl noch lange mit Covid19 leben müsse. Auch könne er nicht sagen, inwieweit sich die Krankenhausstruktur allgemein ändern werde. Gesundheitsminister Jens Spahn habe sich so geäußert, dass einige Krankenhäuser geschlossen werden sollen. Keine Aussagen zur zukünftigen Ausrichtung der beiden Häuser des Klinikums könne folglich getroffen werden, zumal weitere unterschiedliche Faktoren wie unter anderem der wirtschaftliche Einfluss mit berücksichtigt werden müssten. Letztendlich sei der Aufsichtsrat für Entscheidungen verantwortlich.
„Wir haben im Kreistag ein klares Bekenntnis für den Erhalt beider Häuser“, machte Pötzsch klar, dass man sich hier über alle Fraktionen einig sei. „Das ist ein klarer Punkt. Beides sind kommunale Häuser, die auch kommunal unterstützt werden müssen“, gebe es eine deutliche Überzeugung. Deshalb werden auch die alljährlichen Defizite (zuletzt rund 3,5 Mio. Euro), die auch das System mit sich bringen, durch die Gesellschaft getragen. Die Gesundheitsversorgung vor Ort sei für die Bevölkerung von großem Wert. Weiter habe man laut Pötzsch mit dem Zwei-Haus-System eine sehr gute Flexibilität. Er machte aufmerksam, dass gerade aus dem nördlichen Landkreis häufig Patienten auf andere Krankenhäuser verwiesen werden, nicht jedoch auf das Haus in Marktredwitz. Dies habe ein Gutachten aus dem Jahr 2018 gezeigt. Mit den beiden Häusern mit Selb im Norden und Marktredwitz im Süden könne man den Landkreis bestens abdecken. Weiter habe Selb seit drei Jahren die Funktion eines Oberzentrums, das heißt, man müsse hier unter anderem auch im medizinischen Bereich ein Angebot bereithalten.
Mit den Aussagen von Martin Schmid hart ins Gericht ging Dr. Klaus von Stetten (Aktive Bürger). Der vorgetragene Sachstandsbericht sei nur marginal auf die Zeit des Klinikums Fichtelgebirge und insbesondere des Krankenhauses Selb nach der Pandemie eingegangen. Die geforderten Informationen zur Zukunft des Krankenhauses Selb dagegen habe der Geschäftsführer nicht liefern können. Der Blick in die Glaskugel sei kein Management-Instrument. Ein Konzept für einen späteren Normalbetrieb fehle.
Dr. von Stetten hakte nach: „Im Jahr 2004 wurden die Zweckverbandskrankenhäuser Selb und Marktredwitz zum Klinikum Fichtelgebirge fusioniert. 2005 war die millionenschwere bauliche Sanierung des Selber Krankenhauses abgeschlossen. Sanierung ist wohl nicht die treffende Beschreibung. In Selb ist mit Steuermitteln ein völlig neues Akutkrankenhaus mit 145 Betten und Notfallversorgung entstanden“, verwies der Fraktionsvorsitzende der Aktiven Bürger auf den in den Folgejahren stückweisen Abbau mehrerer Abteilungen im Haus Selb. Verständlich sei deshalb die Sorge und das Misstrauen bei der Bevölkerung und beim Personal, dass - als vorübergehend deklarierte - Verlagerungen nach Marktredwitz in Folge der Pandemieorganisation festgezurrt und weitere Planungen in diese Richtung erfolgen könnten.
Im aktualisierten Bayerischen Krankenhausplan vom Januar 2020 werde das Krankenhaus Selb unverändert mit der Versorgungsstufe II geführt. Die bayerische Krankenhausplanung lege zudem Wert darauf, dass eine differenzierte Schwerpunktversorgung in Oberzentren - wie zum Beispiel in Selb/Asch - zur Verfügung gestellt wird. „Wir betreiben in Selb Einrichtungen wie das Rosenthal-Theater, das Hallenbad und die Eishalle. Alles Einrichtungen, die nicht ohne Defizitausgleich existieren könnten. Wir tun das, weil wir das für die Daseinsfürsorge der Menschen in der Region als wichtig erachten“, so Dr. von Stetten. 16 Jahre Defizite in Millionenhöhe habe der Landkreis übernommen, um beide Standorte des Klinikums zu erhalten. „16 Jahre war ausreichend Zeit, ein Haus mit zwei Standorten konzeptionell erfolgreich auszurichten. Das ist in erster Linie eine Aufgabe des Managements. Wir werden das Gefühl nicht los, dass Ihnen das nicht gelungen ist, Herr Schmid!“
Stettens Forderungen für die Zeit nach der Pandemie: Ein Krankenhaus Selb der Versorgungsstufe II mit einer so gut aufgestellten, diversifizierten Chirurgischen Abteilung, dass sie auch die Chance hat, wirtschaftlich zu arbeiten. Eine Internistische Abteilung, die die bisherige Qualität halten kann. Einen Durchgangsarzt am Krankenhaus Selb, der insbesondere einen Wertfaktor für die Wirtschaftsunternehmen in Selb und Umgebung bedeutet. Eine Notaufnahme und Notfallversorgung, die auch die Behandlung von medizinischen Notfällen hier vor Ort ermöglicht. Dagegen brauche man keine Krankenhausbetten in Selb, die in Kurzzeitpflegebetten umgewandelt werden. Das sei Aufgabe der stationären Pflegeeinrichtungen, die dazu entsprechend finanziell ausgestattet werden sollten.
Stetten noch einmal deutlich: „Herr Schmid, Sie haben während Ihres noch zwei Jahre laufenden Vertrages sicher noch Zeit, dazu ein schlüssiges Konzept aufzustellen. Das ist Ihre Aufgabe als Klinikmanager. Die politische Verantwortung für die künftige Wertigkeit des Krankenhauses Selb wird der Landrat als Aufsichtsratsvorsitzender übernehmen müssen. Am Erfolg wird auch er sich von der Bevölkerung des nördlichen Landkreises messen lassen müssen. Die Menschen im nördlichen Landkreis werden in den nächsten Monaten genau beobachten, was zur Sicherung und Entwicklung ihres Selber Krankenhauses unternommen wird!“
Beifall brannte bei den zahlreichen Zuhörern der Stadtratssitzung auf. Weniger Gefallen an den Aussagen hatte dagegen der Geschäftsführer des Klinikums. Er ärgerte sich, dass immer von zwei Häusern gesprochen werde. Es sei ein Klinikum mit zwei Betriebsstätten. Konzepte seien immer wieder erstellt worden. Der Aufsichtsrat entscheide. Und wenn der politische Wille durchgesetzt werden solle, so müsse der politische Wille in Form des Ausgleichs des Defizits eben auch bezahlen.
Stephan Rummel (FWS) stimmte den ausführlichen Aussagen und Forderungen von Dr. Klaus von Stetten zu. Er verwies zudem im Bezug auf das Oberzentrum Selb-Asch auf eine EU-Verordnung, die grenzüberschreitende gesundheitliche Versorgung fordert und fördert. Diesen Punkt müsse man mit aufgreifen.
Auch Walter Wejmelka (SPD) fordert einen klaren Plan für die Zeit nach der Pandemie. Eine Notfallversorgung und ein Durchgangsarzt seien neben der Chirurgie wichtig für den Wirtschaftsstandort Selb. Das müsse bei der politischen Forderung ganz oben auf der Agenda stehen. Der nördliche Landkreis dürfe in der Gesundheitsregion Fichtelgebirge nicht außer Acht gelassen werden.
Wolfgang Kreil (CSU) erklärte, dass Herr Schmid formal gesehen Geschäftsführer eine GmbH sei, da müsse er natürlich auch die wirtschaftliche Lage betrachten und sich an strenge Regeln halten. Die Einnahmen erhöhen und die Ausgaben senken seien da als Handlungsfelder zu betrachten. Letztendlich benötige es aber die Unterstützung für die Krankenhäuser seitens der großen Politik. Diesem Punkt stimmte auch Kai Hammerschmidt (SPD) zu. Aus dem Stadtrat und dem Kreistag müsse man mit gemeinsamer Stimme die Probleme dahin tragen, wo sie zu lösen sind.
Gegenwind bekam Martin Schmid auch in der Bürgersprechstunden zu spüren. Seitens der Notärzteschaft wurde hier deutlich gemacht, dass man bei Einsätzen verpflichtet sei, das nächst gelegene Krankenhaus anzufahren. Folglich müsse oft nach Hof gefahren werden, was sich dann natürlich negativ auf die zuvor von Schmid angesprochenen zurückgehenden Fallzahlen auswirke. Die Zustände durch die fehlende Notfallversorgung am Standort Selb seien vor allem für die Patienten unzumutbar. Demnach sollte in Selb stets zumindest ein Chirurg anwesend sein, der auch einmal eine Platzwunde nähe könne. Die Fahrzeuge seien in dieser Situation stärker gebunden, Einsatzzeiten dauern so länger. Die Qualität leide folglich. „Die Verantwortung, an welchem Standort wir welche Abteilungen haben, das müssen Sie schon uns überlassen. Das haben wir uns unserer TaskForce-Gruppe ausführlich besprochen und uns bei der Chirurgie ganz klar für Marktredwitz ausgesprochen“, wütete Schmid. Auf weitere Nachfrage musste er zugeben, dass in dieser Gruppe nur Personal aus dem Haus Marktredwitz sitzen würde – u.a. mit dabei der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie am Klinikum Fichtelgebirge, Dr. Philipp Koehl.
Warum es mit der Patientenakquise nicht so funktioniere und manch Arztpraxen Patienten in andere Häuser als ins Klinikum Fichtelgebirge schicken würden, was ebenso von Martin Schmid angeprangert wurde, sollte einem weiteren Vorschlag aus der Bürgerschaft zufolge eine Analyse seitens der Geschäftsführung nach sich ziehen, um hier entgegen zu wirken, anstatt das als einfachen Fakt hinzunehmen. Dr. Bernd Pufe, einst am Selber Krankenhaus tätig, ergänzte, dass man für den Standort Selb ein viel größeres Einzugsgebiet in Betracht ziehen müsse. Man sollte versuchen, durch Qualität und entsprechende Angebote überregional zu begeistern.
selb-live.de – Michael Sporer