15.3.2019 – Die Gemeinden liegen teilweise hunderte von Kilometern voneinander entfernt. Über Stock und Stein führt der Weg mancher Pfarrer zu einzelnen Landgemeinden. Von ehemals 390.000 evangelischen Christen deutscher Zunge im Rumänien
der Zwischenkriegszeit sind nur noch knapp 12.000 übrig. In manchen Gemeinden leben gerade noch ein oder zwei Seelen.
Das alles sind Eindrücke vom Gemeindedienst in der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien, von denen der Erkersreuther Pfarrer Dr. Jürgen Henkel jüngst bei der Selbsthilfegruppe Aphasie Selb in einem Vortrag berichtete. Das Interesse war groß. Vorsitzender Jürgen Cienskowsky konnte zahlreiche Zuhörer begrüßen. Henkel berichtet aus erster Hand, hat er doch zehn Jahre in Rumänien gelebt und fünf Jahre lang neben seiner Arbeit als Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen/EAS sieben Gemeinden betreut.
Pfarrer Henkel spannte einen weiten Bogen von der Reformation im vorher katholischen Siebenbürgen im 16. Jahrhundert über die politische Wende 1989 bis zu seinem eigenen Dienst in den Gemeinden der Kleinen Kokel, die nach dem gleichnamigen Fluss benannt sind. Dazu zählt Seiden, einer der berühmteste Weinorte Rumäniens. Aber auch andere Gemeinden mit so klangvollen Namen wie Taterloch, Bulkesch, Donnersmarkt, Blasendorf, Michelsdorf und Schönau.
„Alle Orte und Gemeinden mit Ausnahme der Stadtgemeinde in Blasendorf waren deutsche Siedlungen und früher sächsisch-deutsch und evangelisch geprägt. Die große Auswanderungswelle nach 1990 hat dazu geführt, dass die Kirche auf einen Bruchteil ihrer früheren Größe zusammengeschmolzen ist. Wo früher 1000 Sachsen in einem Dorf lebten, sind heute noch zehn oder zwanzig Gemeindeglieder übriggeblieben“, berichtete Henkel.
Die Gemeinden eines Pfarrers liegen zum Teil über 100 Kilometer voneinander entfernt. „Es gibt Pfarrer, die am Sonntag über 400 Kilometer unterwegs sind, um in zwei oder drei Gemeinden Gottesdienst zu feiern. Geistliche sind dort nicht nur Pfarrer, sondern auch Fahrer“, so Henkel. Seine eigenen Gemeinden seien von Hermannstadt rund 120 Kilometer entfernt gewesen, manche wie Michelsdorf nur über „Schotterpisten“ zu erreichen gewesen.
Die Trauer über den Untergang der über 850jährigen Siedlungsgeschichte der Siebenbürger Sachsen sei überall spürbar. Wichtig sei es hier, Trost und auch ein wenig Glaubensfreude zu spenden. „Die Einsamkeit mache vielen Verbliebenen sehr zu schaffen“, hielt der Pfarrer fest. Henkel zeigte viele Fotos aus seinen früheren Gemeinden, aber auch Eindrücke aus ganz Rumänien. So waren Pfarrhäuser, Kirchen und trutzige Kirchenburgen zu sehen, teilweise aus dem Mittelalter, und auch Kunstschätze wie der vorreformatorische Flügelaltar in Taterloch. Auch aus den evangelischen Gemeinden anderer Landesteile wie dem Banat in der westlichen Grenzregion zu Ungarn oder Konstanza am Schwarzen Meer zeigte Pfarrer Henkel Bilder und berichtete von deren Alltag.
Der Dienst in Siebenbürgen bringe freilich auch kuriose Begebenheiten mit sich. So berichtete Henkel davon, dass ein Gemeindeglied in Michelsdorf, der im Pfarrhaus wohnte, die Scheune des Anwesens zwischen zwei Besuchen Stein für Stein abgebaut und die Steine weiterverkauft hatte, um damit seinen Schnapskonsum zu finanzieren. „Als nächstes kommt der Kirchturm dran“, habe ihm der Mann weinselig versichert.
Bei einem Hausbesuch in Donnersmarkt habe ihn 2003 eine 93jährige Frau mit den Worten begrüßt: „Herr Pfarrer, drei Pfarrer wollten mich schon beerdigen, ich glaube Sie schaffen das.“ Schlagfertig habe er geantwortet: „Da lässt sich drüber reden. Bitte geben Sie mir rechtzeitig Bescheid...“ Er habe dann tatsächlich diese Frau auch Ende 2007 als letztes Gemeindeglied des Dorfes 97jährig beerdigt.
Es war spannend, was Henkel berichtete. Vom Kampf mit korrupten Dorfbürgermeistern um die Rückgabe von den Kommunisten 1948 enteigneter Häuser, Wälder und Güter bis hin zu Leichenzügen durch das ganze Dorf mit von Pferden gezogenem Leichenwagen reichten die kurzweiligen Schilderungen des Pfarrers. Ein spannender Nachmittag für alle Beteiligten. Vorsitzender Jürgen Cienskowsky dankte Pfarrer Henkel für seinen lebendigen Vortrag.
selb-live.de – Presseinfo