26.9.2017 – Mit einem feierlichen Festgottesdienst beging die Kirchengemeinde Erkersreuth am Sonntag das 50jährige Jubiläum der Martin-Luther-Kirche in Selb-Plößberg. Dabei warf der Landessynodale und Lokalhistoriker Dr. Peter Seißer
im Rahmen seiner Kanzelrede zum Thema „Die Reformation im Fichtelgebirge“ einen Blick in das auch in dieser Region aufregende 16. Jahrhundert. Die Kirchengemeinde bot damit gleichzeitig einen Beitrag zum Lutherjahr.
Die Jubiläumskirche in Selb-Plößberg war am Sonntag bis auf den letzten Platz gefüllt. Neben vielen Gemeindegliedern, Vertretern örtlicher Vereine und des öffentlichen Lebens waren unter anderem Dekan Dr. Volker Pröbstl, Pfarrer Pavel Kučera aus Asch, Landratsvize Gerald Schade, Zweite Bürgermeisterin Dorothea Schmid, Dritter Bürgermeister Dr. Klaus von Stetten, die Stadträte Stefan Merz und Erwin Benker, Oberstudiendirektorin und Prädikantin Tabea-Stephanie Amtmann sowie Direktor Wilhelm Siemen vom Porzellanikon gekommen.
Den Gottesdienst gestalteten Ortspfarrer Dr. Jürgen Henkel und seine Amtsbrüder Werner Latteier aus Hohenberg an der Eger sowie Pfarrer Dietmar Schmidtmann aus Hoyerswerda, der der Kirchengemeinde und Pfarrer Dr. Henkel persönlich verbunden ist, unterstützt von Gerlinde Weber und Karin Uhl vom Kirchenvorstand. Dabei stimmte die Festgemeinde beliebte Choräle wie „Großer Gott, wir loben Dich“, „Ein feste Burg“ und „Nun danket alle Gott“ an, musikalisch unterstützt vom Posaunenchor Selb und Gerhard Kießling an der Orgel.
„Seit 50 Jahren sammelt sich unsere Gemeinde hier zum Gebet, sie versammelt sich um Gottes Wort und um die Sakramente. Wir freuen uns, dass dieses Jubiläum trotz anderer wichtiger Dinge heute so viel Aufmerksamkeit findet“, sagte Pfarrer Dr. Jürgen Henkel in seiner Begrüßung unter Anspielung auf die Bundestagswahl. Nach der Begrüßung legten Pfarrer Henkel und die Vertrauensfrau des Kirchenvorstands, Gerlinde Weber, pünktlich zum Jubiläum eine neue Altarbibel auf den Altar, ein Geschenk von Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner.
Altlandrat Dr. Peter Seißer, der sich umfassend mit der Regionalgeschichte beschäftigt hat, machte in seiner Kanzelrede deutlich: „Die Angst vor der Hölle oder zumindest dem Fegefeuer wurde von der damaligen Kirche ganz systematisch betrieben. Es erfasste alle Bevölkerungskreise des christlichen Abendlandes. Hier unterschied sich unsere Fichtelgebirgsheimat nicht von anderen Gebieten. Für das eigene Seelenheil aber auch für das verstorbener Angehöriger ließ man Messen lesen, die entsprechend bezahlt werden mussten.“
Dies war auch eine Herausforderung, denn: „Nachdem damals Priester täglich nur eine Messe lesen durften, benötigte man zahlreiche Messpriester. Allein in der Stadt Wunsiedel gab es vor 500 Jahren neben vier Priestern zehn Messpriester, die an den verschiedenen Altären der insgesamt drei Kirchen täglich die Messe lasen. In Selb hatte man bis zu fünf Messpriester. Natürlich kostete dies viel Geld, das letztlich von den Gemeindegliedern aufgebacht werden musste.“
Messen und Wallfahrten seien gleich wichtig gewesen, um das eigene Seelenheil zu erwirken, denn: „Wallfahrtsorte waren ein für die Kirche aber auch für die jeweilige politische Gemeinde ein sehr einträgliches Geschäft. Wichtigster Wallfahrtsort im Inneren Fichtelgebirge war ‚St. Katharina auf dem Berge‘ südlich von Wunsiedel. Auf der Selber Kappel stand die Wallfahrtskapelle ‚St. Barbara‘.“ Seißer, der auch „Ehrengemeindeglied“ der Kirchengemeinde Erkersreuth ist, merkte kritisch an: „Nicht die Nachfolge Jesu, sondern die Beschaffung von Geld stand für die damalige Kirche im Mittelpunkt. So wurden auch häufig Alte und Sterbende bekniet, ihr Vermögen oder Teile davon der Kirche zu vermachen. Schließlich kam noch der Ablasshandel hinzu.“
Für die heimische Region gilt indes nach den Worten Seißers: „Wir wissen nicht genau, wann erstmals Bewohner des Fichtelgebirges mit Luther und seinen Glaubensaussagen in Berührung kamen. Einer der Ersten dürfte der aus Weißenstadt stammende Magister Johann Küspert gewesen sein, der an der theologischen Fakultät der Universität Leipzig wirkte. Er disputierte im Sommer 1518 in Leipzig mit Luther, wobei Küspert im Unterschied zu Luther die Werkgerechtigkeit verteidigte.“
Eine entscheidende Persönlichkeit war der Theologe Nikolaus Hiltner, der zunächst als Messpriester in Selb wirkte, bevor er 1522 als Vikar für den in Rom lebenden Pfarrherrn Christoph von Schirnding nach Wunsiedel berufen wurde. Seißer: „Unter dem Einfluss von Nikolaus Hiltner setzte sich bereits ein Jahr nach seinem Amtsantritt die neue Lehre durch. Dies zeigte sich etwa im deutlichen Rückgang der Wallfahrten und der damit verbundenen Einnahmen.“
Von einem spektakulären Ereignis aus Wunsiedel konnte Seißer aus dem Jahr 1526 berichten. „Obwohl der Aschermittwoch einer der höchsten Fasttage war, versammelten sich an diesem Tag neun Bürgersöhne auf dem Wunsiedler Marktplatz und aßen Fleisch. Was früher undenkbar gewesen wäre, trat ein: Es passierte den Betroffenen nichts. Zu sehr hatte man sich bereits von den Geboten der alten Kirche entfernt.“
Aufgrund der von Markgraf Georg 1528 veranlassten Kirchenvisitation mussten am 1. März 1529 alle Geistlichen aus den Sechs Ämtern am markgräflichen Hof auf der Plassenburg zu einer Prüfung erscheinen. Es waren dies die Geistlichen aus Arzberg, Selb, Thiersheim, Weißenstadt, Wunsiedel, Röslau, Höchstädt, Bernstein, Marktleuthen, Kirchenlamitz und Thierstein. Hier ging es um viele Fragen der Reformation. „Bei dieser Prüfung wurden die Geistlichen nach ihren Kenntnissen der Heiligen Schrift, nach ihrer Religionsausübung und nach ihren persönlichen Verhältnissen befragt. Kurz danach wurde die lateinische Messe verboten. Gottesdienste mussten in deutscher Sprache gehalten werden. Die Einführung einer auf Deutsch gehaltenen Predigt wurde obligatorisch“, berichtete Seißer.
Damit war die Reformation in der Region unumkehrbar. Doch die Folgen waren für katholische Priester „sozialverträglich“. „Sie wurden zwar entlassen, behielten aber lebenslang ihre bisherigen Einkünfte. Es kam zu keinerlei Ausweisungen von Priestern oder Gemeindegliedern, die weiterhin der alten Lehre anhingen, anders als in anderen Gebieten.“ Schließlich wurde 1560 auch im egerischen Markt Redwitz die Reformation eingeführt, so dass der gesamte Innenraum des Fichtelgebirges neben den meisten angrenzenden Gebieten die neue Lehre angenommen hatte. Die zahlreichen Gottesdienstbesucher verfolgten mit großem Interesse die Ausführungen Seißers zur lokalen Kirchengeschichte.
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