2.9.2024 – Mit dem neuen Schuljahr beginnt auch das neue Kindergartenjahr. In Selb gibt es nur einen Kindergarten, der nicht an eine Konfession gebunden ist: den Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt auf der Kappel. Der ist trotz bundesweiten Fachkräftemangels gut vorbereitet, sagt AWO-Ortsvereinsvorsitzender Rainer Pohl:
Herr Pohl, im Kindergarten gibt es sogar noch freie Plätze für 2024. Was ist da los?
Rainer Pohl: Das ist richtig, es sind im Moment noch ein paar Plätze frei. Im Kindergarten sind es derzeit zwei Plätze und in der Krippe sind es zwei Plätze.
Das schwierige ist die Planung, da es manchmal vorkommt, dass Familien aufgrund von Wegzug kurzfristig absagen oder ihre Kinder doch noch länger zu Hause betreuen wollen. Daher sind manchmal plötzlich Plätze frei. Kinder unter drei Jahren können wir auch schon im Kindergarten aufnehmen. Diese dürfen bereits mit 2,5 Jahren kommen, beanspruchen dann aber zwei Plätze bis zum dritten Lebensjahr.
Unsere Personalplanung ist auf die Kinder abgestimmt. Und wenn unerwartet Personal längerfristig ausfällt, dann kann es schon schwierig werden mit dem Einhalten des Personalschlüssels.
Kürzlich ging der hohe Krankenstand bei den Beschäftigten in der Kinderbetreuung durch die Medien: 2023 waren sie durchschnittlich an knapp 30 Tagen arbeitsunfähig, gegenüber rund 20 Tagen bei allen Berufsgruppen. Das bedeutet einen Anstieg von fast 26 Prozent im Vergleich zu 2021. Was macht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter krank?
Rainer Pohl: Laut Auswertung der Bertelsmann-Stiftung sind die Kita-Beschäftigte am häufigsten wegen Atemwegsinfektionen ausgefallen. Auf Platz zwei folgen bereits psychische Erkrankungen. Das ist ein Problem: Der Job darf Menschen nicht krank machen, weder körperlich noch seelisch. Dass in einem Kindergarten viele Erkältungsviren unterwegs sind, lässt sich kaum vermeiden; kleine Kinder bauen ja gerade erst ihr Immunsystem auf. Aber dass Beschäftigte seelisch krank werden lässt sich vermeiden. Da steht der Arbeitgeber in der Pflicht.
Was sind denn Auslöser für psychische Erkrankungen bei den Beschäftigten in der Kinderbetreuung?
Rainer Pohl: Häufig ist es Überlastung. Der Fachkräftemangel macht uns in der Branche erheblich zu schaffen, der Markt ist wie leergefegt. Wer Erzieher/in oder Pfleger/in wird, tut das aus dem inneren Antrieb, Kindern eine gute Basis für ihr Leben zu geben. Wenn aber Beschäftigte wegen fehlender Kollegen ständig das Gefühl haben, sie werden den Bedürfnissen ihrer Schutzbefohlenen nicht gerecht, macht das was in einem. Es ist auch ein anstrengender Beruf. Oft fordern viele Kinder gleichzeitig Aufmerksamkeit ein, manche haben besondere Bedürfnisse, dann weint noch jemand und wer anders kommt nicht alleine aus der Matschhose – und es kann sehr laut sein. En Presslufthammer liegt bei etwa 100 Dezibel, in Kitas können auch mal 117 dB vorkommen.
Laut Bertelsmann-Stiftung hätte es 2023 deutschlandweit rund 100 000 zusätzliche Vertretungskräfte gebraucht, um die Fehltage abzufangen. Das hätte rund 5,8 Milliarden Euro Personalkosten zusätzlich bedeutet.
Rainer Pohl: Wir akzeptieren als Gesellschaft nur bedingt, dass Sorgearbeit ihren Preis haben muss. Es ist auch ein Dilemma: Attraktive Löhne locken mehr Menschen in einen Beruf; mehr Facharbeiter verbessern die Arbeitsbedingungen, weil es zu weniger Überlastung kommt. Allerdings bedeuten attraktive Löhne auch höhere Kosten. Viele Eltern haben jetzt schon Probleme, die Kita-Beiträge zu stemmen. Und ohne Kinderbetreuung können sie nicht arbeiten und fehlen dann in anderen Branchen.
Was wäre eine Lösung?
Rainer Pohl: Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was uns die Betreuung unserer Kinder wert ist. Die die frühkindliche Betreuung ist der erste Schritt in der Bildung, die dann in den Schulbesuch übergeht und danach in eine Ausbildung oder ein Studium mündet. Die flankierenden Maßnahmen und die ausreichende Finanzierung ist Aufgabe, die die Politik zu lösen hat. Wir in der AWO bemühen uns, unseren Beschäftigten ein gesundes Arbeitsumfeld zu bieten. Wir haben die Löhne in kleinen Schritten über einen längeren Zeitraum angehoben, um die Beschäftigten fair zu entlohnen, ohne die Eltern zu überfordern. Wir freuen uns, dass wir für unsere drei Gruppen ausreichend Personal gefunden haben. Und wir versuchen, Probleme anzusprechen und im Team Lösungen zu finden. Dazu bemühen wir uns um einen guten Austausch mit den Eltern, z.B. über unsere mehrsprachigen Messenger-Angebote. Und wir bemühen uns um einen ansprechenden Arbeitsplatz.
Wie ist der Sachstand beim Neubau des Kindergartens bei Selb-Nord?
Rainer Pohl: Der AWO-Ortsverein Selb feiert im kommenden Jahr sein 80-jähriges Bestehen und das 60jährige Bestehen des AWO Kindergarten. Wir hatten gehofft, dass wir zu diesem Jubiläum den neuen Kindergarten am Schönwalder Weg eröffnen können.
Wegen der notwendigen Entlastung der Kanalisation im Schönwalder Weg im Wohngebiet Kappel müssen weitere bauliche Maßnahmen erfolgen, die eine zusätzliche Verzögerung für den Neubau bedeuten. Aber das hindert uns nicht, unser und das Kindergarten Jubiläum gebührend zu feiern.
selb-live.de - Presseinfo AWO