11.6.2021 – Den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, ein Formular auszufüllen oder das Schreiben von der Bank verstehen - Dinge, die viele Menschen auch bei in unserer Region nicht tun können. Der Grund: Sie können nicht richtig lesen und schreiben.
Die Zahlen klingen erschreckend: Bundesweit können mehr als sechs Millionen Erwachsene so schlecht lesen und schreiben, dass sie als funktionale Analphabeten gelten. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt, da diese Menschen in den seltensten Fällen an die Öffentlichkeit treten. Angst und Scham sind viel zu groß.
Deshalb ist es auch so schwierig, diesen Menschen zu helfen. Weil es aber sehr wichtig ist, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits 2016 die Kampagne „Alphadekade 2016-2026“ ins Leben gerufen. Verschiedene Aktionen und Hilfsangebote wurden im Zuge dessen geschaffen, um möglichst vielen Menschen das Lesen und Schreiben auch nach der Schule noch beizubringen.
Die Volkshochschule Fichtelgebirge hat deshalb das ALFA-Mobil in den Landkreis geholt. Es tourt durch ganz Deutschland und informiert über Hilfsprogramme. Am Mittwoch, den 16. Juni macht es Station in Marktredwitz am Castelfranco-Emilia-Platz und am Donnerstag, den 17. Juni steht es in Selb am Marktplatz, jeweils von 10 - 14 Uhr. Jeder kann vorbeikommen und sich informieren. Sich beraten lassen und dabei ganz anonym bleiben. Auch Angehörige werden aufgerufen, sich zu informieren. Wenn Sie merken: In meinem Bekanntenkreis ist jemand, der drückt sich immer vor den Formularen oder schreibt nie das Protokoll, dann bekommen Sie beim ALFA-Mobil auch Hilfe, wie Sie das am besten ansprechen können.
„Unser Ziel ist es, Betroffenen Mut zu machen“, sagen die Initiatoren der vhs Fichtelgebirge, die das Alfa-Mobil in den Landkreis geholt haben. „Es ist nicht zu spät, Lesen und Schreiben zu lernen und es braucht sich auch niemand zu schämen.“ Woran es liegt, dass in einem Land, in dem es eine Schulpflicht gibt, nach wie vor so viele Menschen nicht richtig lesen und schreiben können, kann niemand genau sagen. „Die Gründe dafür seien vielfältig. Es gebe Menschen, die gut in das Berufsleben integriert seien, einen Schulabschluss haben und dennoch nie wirklich richtig lesen und schreiben gelernt hätten. Andere hatten Probleme in der Schule oder waren eine längere Zeit krank“, erklärt Juliane Averdung, eine Mitarbeiterin des Projekts, die mit dem Alfa-Mobil durch Deutschland tourt.
Die Angst aufzufliegen, ist groß
Brille vergessen, keine Zeit, das Formular auszufüllen oder sich an Firmenschildern, Plakatwänden und Gebäuden zu orientieren statt Straßennamen zu lesen – die Strategien, um möglichst unauffällig durch das Leben zu kommen, sind vielfältig. Aber die Angst aufzufliegen und ein Leben voller Ausreden kann auch eine große psychische Belastung sein. Was einer der Gründe dafür ist, warum die Alphadekade 2016-2026 ins Leben gerufen worden ist. Diesen Menschen soll die Angst genommen werden, zu sagen: „Ja, ich kann nicht richtig lesen und schreiben". Aber ich will das jetzt lernen! Dafür ist es nämlich nie zu spät.
Die Volkshochschule Fichtelgebirge unterstützt beim Lesen und Schreiben lernen mit speziellen geförderten Kursen zur Alphabetisierung. „Unsere Zielgruppe ist sehr scheu", viele Angebote in der Vergangenheit konnten die Zielgruppe nicht erreichen. Zwar komme es vereinzelt vor, dass Betroffene selbst Hilfe suchen, meist sind es Menschen aus deren mitwissendem Umfeld, die den ersten Kontakt herstellen – Ehepartner, Freunde oder Kollegen. „Wenn die Menschen nicht bei uns ankommen, können wir ihnen auch nicht weiterhelfen. Deshalb müssen wir Barrieren abbauen,“ meinen die Initiatoren der vhs Fichtelgebirge. Ein Grund, weshalb sie auch das Alfa-Mobil in die Region geholt haben. Sie stehen Betroffenen sowie dem Umfeld auch für eine individuelle Beratung zur Verfügung.
selb-live.de – Presseinfo VHS Fichtelgebirge